Wie verkraften Kinder die Corona-Krise mit Home-Schooling, ohne Freunde dafür oft mit gestressten Eltern? Eine Krise, die vielleicht auch etwas Lehrreiches hat.

Als unser Redakteur Klaus Kühlewind dieses Interview führte, war die Corona-Krise gerade auf ihrem Höhepunkt: Kita, Kindergarten, Schulen, Sportvereine, Spielplätze geschlossen, Freunde, Oma und Opa nicht da.

Stand jetzt, wo sich Deutschland wieder im Lockerungsmodus befindet, hat dieses Gespräch immer noch Relevanz. Denn solange es kein Gegenmittel gegen das Corona-Virus gibt, kann die Situation des Lockdown immer wieder eintreffen.

Doch auch ohne Virus haben viele Verhaltensweisen Allgemeingültigkeit und können zu einem harmonischeren Familienleben beitragen und das Verständnis für jedes Familienmitglied erhöhen.

Frau  Döring, ‚Mir ist so langweilig!‘  – vielleicht ertönt dieser Satz in einigen Familien immer mal wieder. Wie können Eltern am besten ruhig Blut bewahren, wenn ihnen mitunter doch selbst die Decke auf den Kopf fällt?

Else Döring: Erst einmal möchte ich den meisten Eltern meine Anerkennung und meine Hochachtung aussprechen: Für den guten Job, den sie machen. Viele Eltern sind sehr am Wohlergehen ihrer Kinder interessiert und machen sich viele Gedanken um eine gute Erziehung. Ich denke, Eltern sollten Langeweile und Frust vermeiden helfen, indem sie mit den Kindern zusammen den Tag strukturieren. Es muss aktive Zeiten und Ruhezeiten geben. Und Zeiten, in denen die Kinder sich selbst beschäftigen. Wichtig ist, dass Kinder Fixpunkte am Tag haben, auf die sie sich freuen können.

Braucht es also so etwas Ähnliches wie einen Stundenplan?

Ja, so eine klare Struktur gibt Kindern Orientierung und Sicherheit. Gemeinsame Bewegungszeit sollte sich mit Ruhe- und Entspannungszeiten abwechseln. Und zwischendurch kann das Kind entweder sich selbst beschäftigen oder eine gestellte Aufgabe erledigen. Unternehmungen wie Spaziergänge oder spielerische sportliche Aktivitäten oder Singen und Tanzen sollten sich mit Entspannendem abwechseln wie beispielsweise Geschichten vorlesen oder Malen. Auf dem Bildungsserver gibt es dazu einige Tipps und eine Linksammlung. Abwechslung ist aus meiner Sicht wichtig gegen Langeweile. Die Dauer von Aktivitäten müssen dem Alter der Kinder angepasst werden. Je jünger desto kürzer. Dabei sollten die Eltern auch für sich Entspannungszeit einplanen. Sinnvoll ist natürlich auch, dass Vater und Mutter sich beim Betreuen abwechseln.

Wenn nerviges Fragen und Gequengel in einen Tränenausbruch oder Streit münden, haben Sie einen Rat, wie Eltern sich und ihre Kinder am besten einkriegen?

Eigentlich ist es normal, dass es in dieser Situation zu Konflikten kommt: Eltern und Kinder können sich auch mal übereinander ärgern. Viel wichtiger ist, dass Eltern und Kinder Strategien haben, mit dieser Situation umzugehen. Viele Eltern haben oft schnell Schuldgefühle, wenn sie ärgerlich auf ihr Kind werden. Diese Schuldgefühle verstellen ihnen mitunter den Blick auf sinnvolles Handeln. Wenn Eltern und Kinder sich gestritten haben, sollten beide Seiten eine Auszeit einplanen, um sich abzukühlen. Dabei ist es aber ganz wichtig, wiederanzuknüpfen an der Beziehung, wie sie vorher war. Der Streit ist vorbei, vielleicht gibt es noch Klärungsbedarf, aber dann geht es wieder gemeinsam weiter.

Ein anderes Thema, das Kinder wie Eltern umtreibt, ist die Angst vor diesem Corona-Virus. Viele Erwachsene bedenken, ihre Sorgen würden die Kinder belasten. Welchen Umgang damit empfehlen Sie?

Kinder habe feine Antennen für die Stimmungen ihrer Eltern. Manche Eltern glauben, Kinder bekämen dies nicht mit. Tatsache ist aber, dass Kinder oft ziemlich gut über die Gefühle ihrer Eltern Bescheid wissen. Alles, was aus Rücksicht vor dem Kind nicht ausgesprochen wird, ist dann für die Kinder nicht greifbar und diese Ungewissheit belastet das Kind mehr, als wenn es klare Fakten erklärt bekommt. Deshalb halte ich es für besser, mit den Kindern offen über das Corona-Virus und die damit verknüpften Probleme zu reden – ihnen in kindgerechter Weise nahezubringen, warum und worüber die Eltern sich Sorgen machen. Wieviel und wie differenziert mit dem Kind darüber gesprochen werden kann, ist altersspezifisch. Die aktuellen Fakten sind, dass es sich um eine Krankheit handelt, die sehr, sehr ansteckend ist und dass wenige Menschen, aber nicht alle, davon sehr krank werden können. Die Eltern sollten ihrem Kind zuhören und verstehen, was für Vorstellungen das Kind hat, um dann seine Fragen zu beantworten. Zuhören und Verstehen ist sehr wichtig.

 

“Eine wichtige Botschaft: Corona-Pandemie-Krisenphase wird vorübergehen”

 

Mitunter sind die Nachrichten, in denen von vielen Toten die Rede ist, sehr Furcht einflößend. Wie erkläre ich meinen Kindern am besten, dass viele Menschen in Gefahr sind?

Eltern müssen sich vorher selbst im Klaren darüber werden, wie sie zu solchen Todes-Nachrichten stehen. Sie müssten sich ihrer eigenen Gefühle bewusst werden. Dann können sie auch ihren Kindern die Geschehnisse so vermitteln, dass diese sie verstehen können. Kindern sollte man dann auch verständlich machen, was bestimmte Ereignisse zu bedeuten haben. Je kleiner die Kinder desto anschaulicher sollten wir Ihnen erklären, was passiert. Wichtig ist, dass das Kind versteht, dass es wahrscheinlich nicht selbst betroffen ist und seine unmittelbaren Bezugspersonen auch nicht. Ein dreijähriges Kind ist ausschließlich daran interessiert, ob seine Eltern verfügbar bleiben und weiter für das Kind präsent sind. Im Zentrum steht für die meisten Kinder: Wie betrifft es meine Eltern? Sind meine Eltern, Verwandten und Freunde in Gefahr? Und da ist ja oft Entwarnung angesagt: Wenn sich meine Eltern vorsichtig verhalten und ich das auch tue, dann wird es uns weiter gut gehen. Und eine wichtige Botschaft: Die Pandemie-Krisenphase wird vorübergehen und dann wird es wieder anders. Eltern sollten an dieser Stelle ihren Kindern so viel Sicherheit wie möglich vermitteln. Katastrophisieren wäre wirklich nicht gut. Ein kindgerechtes Erklär-Video und viele Spielesammlungen finden sich auf dem Bildungsserver.

Mitunter trifft es aber doch jemanden aus dem Bekannten- oder Freundeskreis. Wie ist diese Nachricht an das Kind heranzutragen?

In den verschiedenen Altersstufen haben Kinder einen anderen Bezug zu Krankheit. Für kleine Kinder wäre es hilfreich, zu sagen, dass die Person krank geworden ist und wie schlimm krank sie ist. Das ist ja unterschiedlich. Und dass im Moment ganz viele Menschen diese Krankheit Covid 19 haben, aber dass sie auch wieder gesund werden können. Schulkinder verstehen schon viel mehr und können etwas mit dem Begriff Ansteckung anfangen. Und dass das Problem darin besteht, dass sich sehr viele Menschen anstecken. Zum Vergleich ist hilfreich, dass es sich um etwas Ähnliches wie Grippe handelt, aber doch anders. Dann hat das Kind eine Vorstellung, worum es geht.

 

Else Döring

Else Döring

 

Zu dem Zeitpunkt, da wir dieses Interview führen, ist nicht abzusehen, wie lange die kritische Lage andauern wird. Sollten sich Eltern gedanklich schon einmal vorbereiten, dass Kita und Schule aber auch Sportverein und Krabbelgruppe vielleicht länger geschlossen sein werden?

Es ist es sinnvoll, sich darüber Gedanken zu machen, wie die kommenden Wochen gemeinsam gestaltet werden können. Die Situation hat ja auch eine positive Seite: Eltern und Kinder haben viel gemeinsame Zeit, um miteinander zusammen zu sein. Und eine weitere Botschaft wird Kindern jetzt deutlich: In schwierigen Zeiten fängt mich meine Familie auf. Das fördert den Zusammenhalt!

Es wird auch der Tag kommen, da es zurückgeht ins Leben, wahrscheinlich in Etappen. Wie kann da der Drang der Kinder in Bahnen gelenkt werden?

Kinder erleben das wahrscheinlich auch anders. Derzeit geht für jedes Kind das Leben weiter, allerdings in einer anderen Art. Vielleicht vermissen Kinder derzeit einiges, aber sie gewinnen auch einiges. Sie haben eine zusätzliche intensive Zeit mit ihren Eltern. Die Eltern sind präsenter und mehr da als vorher. Anderes Beispiel: Ich kenne ein Mädchen, das die aktuelle Situation sehr positiv erlebt, weil sie große Probleme hatte, in die Schule zu gehen. Jetzt plötzlich – über Videokonferenzen und Telefonate mit der Schule, den Lehrern und den Mitschülern – hat sie mehr Kontakt als vorher.

Wen würden Sie ganz oben auf die Liste der Besuche setzen: Oma und Opa oder die besten Freundinnen und Freunde?

Das ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Und es hängt ja auch vom Alter ab. Bei den älteren Kindern ab etwa 11 Jahren ist die Bedeutung von Freundinnen und Freunden oft größer als die von Großeltern. Diese Altersgruppe würde wahrscheinlich den Kontakt mit Freundinnen und Freunden an erste Stelle setzen. Zudem ist entscheidend, welche Beziehung das Kind zu den verschiedenen Personen hat. Wie eng das Verhältnis zu den Großeltern ist, das ist von Kind zu Kind sehr unterschiedlich.

 

Das Interview führte Klaus Kühlewind