Der Kinderreport 2022 gleicht einer langen Liste mit Hausaufgaben für die deutsche Politik. Unterm Strich wird deutlich, was junge Mensch umtreibt und dass sie deutlich mehr als bisher zu Wort kommen möchten. Gut möglich, dass dieses Aufbegehren von dem Trauerspiel der Politik um die Kinderrechte beflügelt wurde. Denn im vergangenen Jahr war die Aufnahme dieses Artikels in das Grundgesetz gescheitert. Die für den aktuellen Report des Deutschen Kinderhilfswerkes (DKHW) befragten 645 Kinder und 1046 Erwachsenen indes stehen mit deutlicher Mehrheit nach wie vor für eine Aufnahme der Kinderrechte in den Verfassungsrang. „94 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen halten die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz für sinnvoll, um die Interessen der jungen Generation zukünftig besser zu berücksichtigen, bei den Erwachsenen sind es immerhin 84 Prozent“, fasst das DKHW die Ergebnisse seiner Befragung in einer Mitteilung zusammen.  Zahlen, die umgekehrt auch Aufschluss geben über die Zufriedenheit der Politik, was junge Menschen betrifft – und damit ist es nach den Zahlen des Kinderreports nicht weit her: „Lediglich neun Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen geben an, dass die Politik in den letzten Jahren die Interessen von Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen stark berücksichtigt hat. 83 Prozent sehen das nicht so. Die befragten Erwachsenen sehen das ähnlich. Lediglich 16 Prozent der Befragten geben an, dass die Politik in den letzten Jahren die Interessen von Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen stark berücksichtigt hat.“

Diesem per Umfrage bescheinigten Desinteresse an den jungen Menschen entgegenzutreten, bringt der Kinderreport ein Instrument ins Spiel, das sowohl bei Kindern wie auch bei Erwachsenen auf große Zustimmung stößt: einen ständigen Beirat für Kinder- und Jugendbeteiligung bei der Bundesregierung.  80 Prozent der Kinder und Jugendlichen sowie 66 Prozent der Erwachsenen halten ein solches Gremium für sinnvoll. Aber auch in den Städten und Gemeinden möchten Kinder und Jugendliche mehr mitmischen: 76 Prozent von ihnen sehen mehr Kinder- und Jugendparlamente in ihrem Umfeld als wirksame Mittel der Beteiligung an, auch 63 Prozent der Erwachsenen sprechen sich für den Ausbau von Kinder- und Jugendparlamenten aus.

In diesem Gremien hätten die jungen Menschen zugleich einen Hebel, um Entwicklungen umzukehren, die nach ihrer Auffassung schlecht laufen. So sind lediglich zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen der Ansicht, dass in Deutschland genug investiert werde, damit Kinder und Jugendliche eine gute Zukunft haben. Die Erwachsenen sind da ähnlicher Meinung: Gerade mal 17 Prozent sehen das positiv. Für künftige Generationen müsse der Staat mehr Geld in die Hand nehmen. So sind 96 Prozent der Kinder und Jugendlichen der Meinung, dass deutlich mehr ausgegeben werden müsse beispielsweise für bessere Schulgebäude und Krankenhäuser oder bessere und günstigere Bus- und Bahnverbindungen. Bessere Bildung und gute Schulen für alle Kinder und Jugendlichen sind nach Auffassung von 95 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen ebenfalls unablässig. Kaum anders werten die befragten Erwachsenen dieses Thema.

Ein offenes Ohr in der Politik gefunden hat das Kinderhilfswerk in Malu Dreyer, der Ministerpräsidentin von Rheinlad-Pfalz.  „Als Entscheidungsträgerinnen und -träger in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft stehen wir hier und heute in der Pflicht, die junge Generation in ihrer gesellschaftlichen Partizipation zu stärken und ihre Anliegen in unsere Entscheidungen einfließen zu lassen. Das macht der Kinderreport 2022 deutlich“, sagte sie bei dessen Vorstellung am Freitag in Berlin. Sie beteuerte zudem, dass die Politik um die aktuelle Situation wisse. „Die Pandemie und die Inflation belasten Familien, Kinder und Jugendliche zusätzlich. Um die Kinderarmut nachhaltig zu bekämpfen, brauchen wir eine Kindergrundsicherung.“ Laut Dreyer wolle die Bundesregierung diese einführen.

Ein Signal, das beim Präsidenten des DKHW Thomas Krüger sehr wohl ankam.- Er sieht die Belange von jungen Menschen vor allem in politischen Debatten „systematisch vernachlässigt“. Sollte sich das nicht ändern, „steht unsere Gesellschaft vor einer Zerreißprobe“, warnte Krüger. „Wir brauchen dringend mehr Maßnahmen für eine generationengerechte Gesellschaft, in der Kinder gleichwertige Lebenschancen, soziale Absicherung sowie ein nachhaltig sicheres und gesundes Umfeld vorfinden.“ Unsere Demokratie sei abhängig davon, dass es gelinge, sowohl den Interessen aktueller Generationen als auch zukünftiger Generationen gleichermaßen gerecht zu werden.

Für eine generationengerechte Politik für Kinder und mit Kindern brauche es eine Vielzahl politischer Initiativen und Entscheidungen. Als Beispiele führte er an, was im Kinderreport 2022 dokumentiert ist: die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz, mehr Kinder- und Jugendbeauftragte in Bund, Ländern und Kommunen oder eine Prüfung aller neuen gesetzlichen Maßnahmen auf ihre Kinder- und Jugendfreundlichkeit.

Der Politik schrieb Krüger gleich eine ganze Reihe von Aufgaben ins Heft: „Wir müssen mehr finanzielle Mittel als bisher für die öffentliche Infrastruktur, für die Bildung, für Klima und Umweltschutz oder die Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland aufbringen.“ Finanzieren möchte er diese Ausgaben „vor allem durch eine zusätzliche Besteuerung sehr hoher Einkommen und durch Einsparungen an anderer Stelle wie Straßenbau oder Wirtschaftsförderung“. Bei der Aufnahme neuer Schulden müsse der Gesichtspunkt des Kindeswohlvorrangs zur Regel werden – im Klartext: es muss sehr genau gecheckt werden, was die auf Pump beschlossenen Vorhaben und Projekte für künftige Generationen bedeuten.

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kakü