Kino begleitet sie schon ein ganzes Leben lang. Mit ihrem Künstlerinnenkollektiv „Taartrovers“ hat Tessa van Grafhorst den Lichtspielplatz entworfen. Er ist bis Mitte Mai im Deutschen Filmmuseum am Frankfurter Mainufer aufgebaut und lässt Kinder aus allerlei Blickwinkeln auf Filme und das Kino blicken.
MainKind: Frau van Grafhorst, Kinder und Filme sind ein Schwerpunkt ihres Kollektivs. Wie kam es dazu, dass Sie jungen Menschen die bewegten Bilder nahebringen möchten?
Tessa von Grafhorts: Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Musik, Kunst, Design, Kunsthandwerk und Bücher große Rollen spielen. Mein Zuhause war in einem Dorf mit viel Platz zum Spielen. Dort habe ich in den ersten zehn Jahren meines Lebens zusammen mit meinen Freunden und Geschwistern viel gespielt und gestaltet, dabei haben wir auch Räume, Geschichten und Regeln für neue Spiele geschaffen. Später, als ich Jura studiert habe, hörte ich mit Kunst und Spiel nicht auf. Ich lebte in Amsterdam, nahm an Kunstkursen teil und genoss Filme, Fotografieren, Oper, modernen Tanz sowie moderne und zeitgenössische Kunst. Ich tauchte ein in das reiche kulturelle Leben, das mir die Stadt zu bieten hatte. Doch dabei habe nie den Bezug zu meiner Kindheit und zur Kunst verloren. Nach einer sehr kurzen Karriere als Anwältin beschloss ich, das zu tun, wonach ich mich wirklich sehnte: Mit Filmen für Kinder zu spielen. Ich habe ein kleines Kino für Kinder eröffnet und einen Raum geschaffen, in dem sie über die Schönheit des Films im weitesten Sinne staunen und damit spielen können.
Mit ihren Installationen wollen sie Mädchen und Jungen nachvollziehbar zeigen, wie Filme entstehen. Wie nehmen Kinder nach Ihrer Erfahrung die Eindrücke auf, die sie dabei sammeln?
Unsere Installationen dienen nicht dem besseren Verständnis dafür, wie Filme gemacht werden. Ich denke, das ist ein Wissen für später im Leben. Meine Mission ist vielmehr, kleinen Kindern die Möglichkeit zu geben, eine persönliche Verbindung zum Film herzustellen, über die Magie des Films nachzudenken und sich bewusst zu werden, was Film und Kino sind und was es für sie bedeutet. Unsere Mission ist es, den Mädchen und Jungs „andere“ Filme zu zeigen, die sich von dem unterscheiden, was sie in ihrem täglichen Leben sehen. Damit möchten wir ihre Neugier wecken und ihnen zugleich die Möglichkeit bieten, mit ihren ersten Filmerfahrungen zu spielen. Bei den Aktivitäten können die Kinder zum Ausdruck bringen, was sie während der Vorführung erlebt haben, nicht nur die Geschichten und Bilder der Filme, sondern auch das Zusammensein im Theater und das gemeinsame Ansehen eines Films mit anderen, die Dunkelheit, die Stühle, die Treppen, die Projektionen, die Geräusche – das alles spielt eine Rolle.
Ein wichtiges Element im Film sind Klänge und Musik. Im Soundhouse, einer der Stationen des Lichtspielplatzes, haben Kinder die Gelegenheit, Stummfilme selbst zu vertonen. Wie gehen die Jungen und Mädchen dabei vor?
Kinder reagieren da recht unterschiedlich. Aus diesem Grund bieten wir lieber Raum für Kreativität als Workshops mit festen Schritten. Es gibt viele Möglichkeiten, was die Kinder wie und wie lange sie es tun können. Mir ist aufgefallen, dass Kinder, wenn sie noch sehr klein sind, im Allgemeinen einfach Geräusche machen und sich daran erfreuen oder anderen Kindern dabei zusehen, wie sie diese Geräusche machen. Wenn sie älter werden, interagieren Kinder mehr mit anderen. Und manchmal schauen sie sich Filme an und improvisieren und machen Sounds, die den Film unterstützen, aber das Timing ist immer noch schwierig. Wenn sie richtig Lust haben und nicht mehr ganz so jung sind, schauen sich die Kinder die Filme mehrmals an, proben eine Geräuschkulisse und führen einen echten Auftritt auf.
Und wie kommen die Kinder zu den Klanggebilden für die Filme?
Im Soundhouse finden Sie „normale“ Musikinstrumente wie eine Triangel, Cajons oder ein Xylophon, aber sie können auch alltägliche Dinge verwenden, um Geräusche zu erzeugen, wie eine Salatschleuder, einen Bohnenschneider oder ein PVC-Rohr. Und natürlich können sie ihre Stimme nutzen.
Die Grundlagen der Kinotechnik lernen Kinder im Light-Lab kennen. Wie erzeugen Kinder dabei mit Licht, Schatten und Farben die Bilder für Filme?
Im Light-Lab erforschen sie mit Projektionen. Was hat Licht mit Farben zu tun? Wie kann ein kleines Bild auf dem Bildschirm größer werden? Kinder können mit dieser Technik spielen, indem sie Materialien wie Sand, Öl, Ecoline und transparente Spielsteine berühren. Dabei spüren den Zusammenhang zwischen ihren Handlungen und den Bildern, die dabei erscheinen.
Ein Ziel des Lichtspielplatzes ist es, Kinder neugierig auf das Medium Film zu machen. Wie schwierig ist es, junge Menschen fürs Kino zu gewinnen?
Das ist gar nicht so schwer. Die meisten Menschen lieben Kino. Film ist ein sehr zugängliches Medium. Dazu wählen wir Filme aus, die zum Entwicklungsstadium der Kinder passen, sie aber gleichzeitig auch herausfordern. Die Filme sollen zum Staunen anregen und Fragen aufwerfen wie: Was sehe ich? Warum passiert das? Wie wird das enden? Was fühle ich? Gerade wenn Kinder noch sehr klein sind, sind sie sehr gut darin, Dinge zu erkunden, die für sie neu sind. Für sie ist fast alles neu! Wir halten es für wichtig, kleinen Kindern die Möglichkeit zu geben, beim Spielen auf dem Lichtspielplatz mit dem Kinoerlebnis zu interagieren. Dieser Spielplatz ist eine Möglichkeit, Filme mit allen Sinnen auf kindliche Art und Weise zu analysieren. Wir hoffen, dass wir Kindern durch die Möglichkeit, auf diesem Weg mit dem Medium Film zu interagieren, viel Freude bereiten, die sie für immer in Erinnerung behalten und somit für den Rest ihres Lebens den Weg zum Kino finden.
Mit den Stationen des Lichtspielplatzes lernen Kinder kennen, wie Filme entstehen, wie ein Kino funktioniert. Wie kann es gelingen, dass daraus dauerhaft eine aufgeschlossene, wissbegierige Haltung erwächst?
Wenn Kinder nach Hause oder in die Kita zurückkehren, können sie in ihrer gewohnten Umgebung weiterhin mit dem Licht spielen und die Schatten des eigenen Körpers, der Bäume oder Gebäude betrachten, die das Sonnenlicht erzeugt. Diese Schatten gab es schon vorher, aber wir hoffen, dass der Lichtspielplatz eine neue Sichtweise auf die Welt eröffnet: ein Fenster zum Staunen über alles, was man sieht. Das Gleiche gilt für die Geräusche: Wie kann man mit seinem Teller und Besteck Geräusche erzeugen und Musik machen, oder mit Pfannen, Holzlöffeln, Türklinken und vielen anderen Dingen. Mit diesem Wunderblick können sie überall ihren eigenen Lichtspielplatz schaffen. Und natürlich sollten sie oft ins Kino gehen!
Viele Studien weltweit belegen, dass Kinder immer mehr Zeit vor Bildschirmen und Monitoren jedweder Art verbringen. Inwiefern ist der Lichtspielplatz da eine Möglichkeit für Kinder, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren?
Wir erwarten nicht, dass die Kinder über dieses Verhalten nachdenken. Wir merken aber, dass unsere Installationen Eltern und Lehrer inspirieren. Sie finden dabei heraus, wie sie noch mit ihren Kindern spielen und ihnen Film, Geschichten, Kunst auf ästhetische, analoge und spielerische Weise anbieten können. Und damit können sie bisherige Bildschirmgewohnheiten ergänzen.
Wenn Sie den Lichtspielplatz einmal weiterdenken: Welche zusätzlichen Stationen könnte er in drei oder vier Jahren aufweisen?
Wir wollen jedes Jahr eine neue Installation erstellen. Innerhalb von drei bis vier Jahren wird es also vier Neuinstallationen geben. Eine neue Installation beginnt immer mit einem Thema. Themen, die unser Kollektiv annimmt, sind beispielsweise visuelle Geschichten. Besonders für Kinder, die neu im Land oder gehörlos sind. Diese beiden Gruppen haben unser besonderes Interesse. Ein weiteres Thema ist tanzen, bewegen: Wir alle lieben Tanz! Und wir halten es für wichtig, den Körper zu bewegen, weil die Menschen sich auf ihren Kopf konzentrieren. Viele von uns denken, reden, hören zu und vergessen fast, dass wir einen ganzen Körper haben.
Welche weiteren Themen haben Sie im Blick?
Die Natur. Wir sind Teil der Natur, aber die meiste Zeit von ihr getrennt und leben in einer auf den Menschen ausgerichteten Umgebung. Wir sehnen uns – und das merken wir auch bei Kindern – danach, uns immer mehr mit der Natur zu verbinden. Ein weiteres Thema ist Essen, denn Essen ist Teil unseres Lebens. Essen ist eine Möglichkeit, mit anderen zu feiern oder in Kontakt zu treten, zugleich lässt es zu, kreativ zu sein und zu genießen. Vor zehn Jahren hatten wir ein Filmfestival zum Thema Essen, wir haben dafür eine Pasta-Stop-Motion-Küche, ein Tischmanieren-Set, eine Food-Blog-Küche entwickelt. Jetzt ist es wieder an der Zeit, eine Food-(Film-)Installation zu erstellen.
Das klingt nach Geschmacksvielfalt. Welche weiteren Zutaten haben Sie noch im Regal?
Weitere Themenkomplexe sind die Zirkularität, die Frage, wie Dinge auf neue Weise genutzt und wiederverwendet werden können. Aber auch ein philosophischer Exkurs rund ums Fragen ist spannend: Wenn Kinder klein sind, haben sie so viele Fragen. Ganz wichtig dabei: Wie können wir Spaß daran haben, mit all diesen Fragen zu spielen?
Das Gespräch führte Klaus Kühlewind
Zur Person
Tessa von Grafhorts eröffnete Im Jahr 1999 ein kleines Theater speziell für kleine Kinder, das „De Kinderbioscoop“ in Amsterdam. Einige Jahre später war sie Mitbegründerin von Taartrovers, einem Kollektiv aus Designern und Kunstlehrern. Die Mission von Taartrovers: Sie möchten kleinen Kindern von zwei Jahren an die Möglichkeit geben, mit allen Sinnen mit Film und Fantasie spielen zu können. Als künstlerische Leiterin von Taartrovers arbeitet Tessa daran, die Mission zu verbreiten, als Dozentin teilt sie ihre Vision und ihr Wissen mit Fachleuten, als (Film-)Kunstlehrerin unterrichtet sie Vorschulkinder und als Co-Kreative entwickelt sie spielerische Konzepte, Programme und Installationen wie den Lichtspielplatz im Frankfurter Filmmuseum.