Ein Gesamtkunstwerk feiert Geburtstag: Das Sams. Vor fünf Jahrzehnten ist es aus einem großen, blau gepunkteten Ei geschlüpft und gibt 50 Jahre später dem Oetinger-Verlag ein Interview.

Kinder in Kairo lachen wie deutsche Kinder

Das Sams ist unserer Zeit voraus. Gut möglich, dass es für Intersexuelle die Figur ist, die für sie steht, schließlich sagt es von sich: „Ich bin kein Junge, ich bin kein Mädchen, ich bin ein Sams.“ Auch sein Schöpfer Paul Maar konstatiert: „Das Sams ist divers “ – und das schon zu Zeiten, da niemand wusste, was das ist. Zudem ist das Sams eine Mischung aus Poet und Lebenscoach, das jeden Rat wie auch alle anderen Äußerungen in Versform kleidet. „Andre können dich nicht ändern, ändern musst du dich allein. Du wirst nie die andern ändern, aber du kannst anders sein.“ Für das Interview zu seinem 50. Geburtstag in Mainkind, geführt von den KollegInnen des Oetinger-Verlages, hat das Sams allerdings für einen kurze Zeit das Reimen vergessen. Lest selbst:

Liebes Sams, was ist das größte Privileg im Leben einer literarischen Figur?

Dass sie das Glück hatte, vom berühmten Paul Maar erschaffen zu werden.

Sie sind jetzt auch schon 50. Männer und Frauen kommen da gern in die Midlife-Crisis. Wie geht’s dem Sams?

Wenn ich noch mal mit „Sie“ angesprochen werde, antworte ich überhaupt nicht mehr. Davon abgesehen geht’s’ mir mit 50 genauso gut wie mit 25 oder 5.

Erinnerst Du dich an den Tag Deiner Geburt?

Wer erinnert sich an die eigene Geburt! Du etwa?

Es ist ja wie bei Schauspielern – manche schaffen den Durchbruch, andere nicht. Was unterscheidet eine erfolgreiche Figur wie Dich von einer nicht so erfolgreichen?

Wenn meine Geschichte in mindestens 30 Sprachen erzählt wird, wenn nicht sogar in 28, dann kann man von einem Erfolg reden. Findest du nicht?

Als Du 1973 erschaffen wurdest, entsprachst Du dem antiautoritären Zeitgeist. Heute hat sich die Welt verändert. Wie schafft man es dennoch, 50 Jahre lang nicht überholt zu wirken? Indem Du dich anpasst und ein Spiegelbild der jeweiligen Zeit bist?

Was den Witz und den Humor betrifft, hat sich der Zeitgeist überhaupt niemals nicht geändert.

Dein Schöpfer ist Paul Maar. Was ist der für ein Mensch?

Er ist empfänglich für meine Wortwitze und ansonsten recht umgänglich. Manchmal ein bisschen zu verträumt.

Und wie ist Euer Verhältnis?

Wir respektieren und inspirieren uns gegenseitig.

Mit wem arbeitest Du in den Büchern am liebsten zusammen? Wer sind Deine persönlichen Lieblingsfiguren? Und mit wem kannst Du nicht so?

Dass ich mit Papa Taschenbier gut zurechtkomme, hat sich ja wohl schon herumgesprochen. Herrn Mon kann ich auch gut leiden. Mit Frau Rotkohl gibt’s manchmal kleinere Reibereien. Aber sie wird von Jahr zu Jahr aufgeschlossener und ist manchmal geradezu liebenswürdig. Besonders, wenn Herr Mon anwesend ist.

Du stellst vieles andere aus der Schreib- und Zeichenfeder von Paul Maar in den Schatten. Sind Möpse, Dackel, Hütehunde und all die anderen gelegentlich neidisch?

Ich denke nicht. Vor allen Dingen können sich Hunde da nicht beschweren. Sie kommen in jedem zweiten Buch von Paul Maar vor. Vom tätowierten Hund über Herrn Bello, Snuffi Hartenstein, bis zum kleinen Hund aus den Känguru-Geschichten. Selbst mich hat Paul mal in einen gepunkteten Hund verwandelt, der Herrn Daume zum Verzweifeln bringt.

Warum wird Dir und Paul Maar nicht langweilig nach einer so langen Beziehung?

Weil wir uns gegenseitig anregen, uns gut kennen, und zusammen immer neue Ideen entwickeln.

Du bist in vielen Ländern der Erde berühmt – von Albanien bis China. Warum funktioniert Dein Humor weltweit?

Ich kann’s auch nicht erklären. Ich stelle nur fest, dass die Kinder in Russland, Kairo oder China an denselben Stellen lachen wie die deutschen Kinder.

Und gibt es Gegenden, wo man Dich nicht lustig findet?

Ich habe noch keine kennengelernt.

Du bist immer noch, pardon, etwas übergewichtig. Andere Kinderbuch-Figuren haben längst abgespeckt. Und auch die Sprache wird hier und da angepasst. Was hältst Du davon?

In den Büchern, die Paul Maar geschrieben hat, gibt’s nichts anzupassen. Wenn nicht gerade ein wirklich böses Wort verwendet wurde, würde ich auch in anderen Büchern von anderen Autorinnen oder Autoren nichts ändern, sondern das Wort markieren, und am Fuß der Seite schreiben, dass man das früher so gesagt hat und heute nicht mehr sagen sollte.

Was unterscheidet die Kinder der 70er Jahre von den heutigen?

Das Internet, das Handy, das Streamen.

Was kannst Du den Kindern von heute mit auf den Weg geben?

Seid selbstbewusst, aber nicht überheblich!

Elf Sams-Bücher gibt es bislang. Wirst Du in weiteren Geschichten zu uns kommen?

Mein Paul Maar schreibt gerade ein zwölftes. Hauptfigur ist das Mini-Sams. Auch der Drache Ralfer ist zurückgekehrt.

Glaubst Du, dass sich bald auch die Künstliche Intelligenz Sams-Geschichten ausdenken könnte?

Ja. Aber sie werden keine Seele haben.

Vorletzter Punkt: Welche Wünsche willst Du Dir mit deinen Wunschpunkten noch erfüllen?

Mein Paul Maar soll gesund bleiben und noch ein paar Jährchen leben.

Und nach fünf Jahrzehnten Sein, welches ist Dein Lieblingsreim? Sapperlot, ein „n“ und ein „m“ ergeben ja gar keinen echten Reim. Überlassen wir das also Dir. Bitte schön:

Vor kurzem stand in einer Zahnarzt-Zeitung, dass sich die Kinder meinen Spruch zu Herzen nehmen sollten: Zähneputzen ist von Nutzen, weil die Zähne sonst verschmutzen. Der kommt mir im Nachhinein viel zu pädagogisch vor. Besser gefällt mir: Will man was ganz stark und fest, geht’s auch ohne Wunschmaschine. Selbst ein Schwein lernt Violine, wenn es nur nicht lockerlässt