Welche Umgebung ist denn optimal für Kinder zum Lernen? An sich kommt es überall auf die Interaktion mit den Kindern an, also das, was wir unter Prozessqualität verstehen. Es ist wichtig, sich mit den Kindern aktiv auseinanderzusetzen, ihnen Impulse zu geben, sie dort abzuholen, wo sie gerade stehen in ihrer Entwicklung. Für Eltern wie für Fachkräfte ist es wichtig, die Zone der nächsten Entwicklung zu kennen, um diese Prozesse zu gestalten, also die Zone, in der ein Kind mit Hilfe einen weiteren Lernschritt machen kann. Die Wohlfühlumgebung im Kinderzimmer ist ein Geschäftsmodell. Ist es nicht wichtiger, wenn Eltern oder Lehrer ein offenes Ohr und Auge haben, was das Kind tut, wo es steht und wo es abgeholt werden kann? Ganz genau. Wir unterscheiden zwischen einer Qualität der Beziehungsgestaltung und einer Qualität, die zum kognitiven Weiterdenken anregt. Beides ist wichtig. In der Beziehungsgestaltung geht es auch um den Aufbau von Vertrauen. In der Schule geht es beispielsweise auch darum, Fehler machen zu dürfen, sich zu trauen, etwas beizutragen zu einem Gespräch und zu wissen, die Lehrkraft gibt mir konstruktives, förderliches Feedback zu dem, was ich gesagt habe. Aber es geht natürlich auch darum, die Kinder zum Denken anzuregen. Dazu braucht es geeignete Impulse, um beispielsweise an einer Sache dranzubleiben, sich neues Wissen selbstständig anzueignen, nicht aufzugeben und die Kinder auch herauszufordern in ihrem Denken. Das ist möglich auch mit einfachen, alltäglichen Aspekten, die die kindliche Neugier aufnehmen. Fragen, die Kinder selbst stellen, wie kommt es, dass ein Regenbogen entsteht, oder wieso verschwindet eigentlich eine Pfütze, eignen sich gut, um mit dem Kind gemeinsam weiter zu denken. Also all die Fragen, die ein Kind aufwirft, aufnehmen und dann versuchen, gemeinsam eine Lösung, eine Erklärung zu finden? Genau, das kann imGespräch sein, oder aber auch auf Grundlage eines Bilderbuchs oder einer alltäglichen Beobachtung geschehen. Das gemeinsame Betrachten eines Buches ergibt Gesprächsanlässe, bei denen das Kind selber etwas beitragen kann, selber weiter überlegt und sein Wissen, sein Verständnis zeigt. Kinder verstehen schon sehr vieles, auch wenn sie es nicht immer sprachlich ausdrücken. Es gilt, an diesen Punkt heranzukommen und gemeinsammit dem Kind weiter zu denken, den Kontext zu erweitern. Was wird anders mit dem Eintritt in die Schule? Der Eintritt in die Schule ist eine Übergangssituation. Es ist wichtig, dass dieser Übergang gestaltet wird von den beteiligten Institutionen, von Kita und Grundschule gemeinsam mit den Eltern. Für das Kind verändert sich vieles, beispielsweise auch, dass manche sozialen Kontakte sich erweitern, dass es in eine neue Lerngruppe kommt. Neu ist aber auch, dass das Lernen stärker als bisher in Gruppen stattfindet. Dafür gibt es gerade im Anfangsunterricht Möglichkeiten, wie Lehrkräfte diese Neuerungen gemeinsam mit den Kindern gestalten, auch, was die Regeln betrifft: Worauf einigen wir uns, damit alle gut lernen können? Wozu brauchen wir Gesprächsregeln? Warum ist es sinnvoll zu warten, wenn ich ein Bedürfnis habe, und auf welche Art kann ich das signalisieren? Solche Gruppenprozesse und Prozesse der Lernorganisation werden in der Grundschule deutlich wichtiger und fördern zugleich die Entwicklung von Selbstregulation bei den Kindern. Was braucht es dazu, dass ein Kind sich wohlfühlt in der Schule? Da spielt die Beziehungsgestaltung eine wesentliche Rolle. Ein Kind muss wissen, dass es als Person in seiner Individualität angenommen wird, dass sein Lernprozess individuell unterstützt wird, dass es sich etwas trauen kann, auch Fehler machen darf. Aus Fehlern zu lernen, ist ja ein ganz wichtiger Schritt. Und Lehrkräfte, die dieses individuelle Eingehen auf die Lernschritte der Kinder auch ausführen, schaffen eine konstruktive Lernumgebung. Zum Lernen gehören auch Hausaufgaben. Was empfehlen Sie? Die Hausaufgaben sind ein vieldiskutiertes Thema – wie sinnvoll ist es überhaupt, sie zu geben? Sinnvoll daran kann sein, dass letztlich darüber auch Selbstregulation gefördert werden kann, aber nur, wenn dieser Prozess begleitet wird. Auch da sind Kinder unterschiedlich, manche Kinder tun sich leichter, sich auf diesen Lernprozess zu konzentrieren und auch die verführerischen Außenwahrnehmungen auszuschalten. Andere Kinder brauchen mehr Begleitung. Es ist zudem wichtig, die Zielsetzungen mit dem Kind zu formulieren und auch mal gemeinsam zurückzublicken und festzustellen, womit hat sich das Kind besonders schwergetan, was könnte nächstes Mal anders sein. Dazu gibt es auch gute Hilfsmittel wie beispielsweise im Grundschulunterricht das Lerntagebuch. Damit wird nicht nur festgehalten, welche Inhalte und Problemstellungen die Kinder beispielsweise in einem Thema bearbeiten, sie werden auch über Impulse und Rückmeldungen mehr und mehr in die Lage versetzt, ihren eigenen Lernprozess zu reflektieren, also über ihren Lernprozess nachzudenken. (kakü) Wie lernen wir? | 5 Professorin Dr. Ilonca Hardy habilitierte 2007 an der FU Berlin im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie. Zudem schloss sie das Studium der Grundschulpädagogik an der Freien Universität Berlin im Jahr 2006 ab. Seit 2008 ist sie Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik und Empirische Bildungsforschung an der Frankfurter GoetheUniversität Frankfurt. Sie gehört zudem dem Leitungsteam der Didaktischen Werkstatt / Arbeitsstelle für Diversität und Unterrichtsentwicklung des Fachbereichs Erziehungswissenschaften an. Ilonca Hardy stammt aus Bayern und wohnt seit 2008 mit ihrer Familie in Frankfurt. Sie hat drei Kinder und einen Hund, singt in einem Chor und genießt Spaziergänge im Naturschutzgebiet des Frankfurter Osten.
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