MainKind | Ausgabe 3/2023

Legasthenie: Wenn das Abspeichern schwerfällt „Wie dumm kann man eigentlich sein!” ist ein Satz, den man seinem Kind nicht sagen sollte. Das wissen heute alle Eltern. Trotzdem ist er Monika A. herausgerutscht, als sie mit ihrer achtjährigen Tochter Marie für das Diktat geübt hat. Seit Tagen waren die Lernwörter bekannt. Marie hatte sie zuerst ins Heft abgeschrieben: jedes Wort eine ganze Zeile lang. Dann hatte die Mutter sie ihr diktiert, nun schon zum dritten Mal. Trotzdem waren noch immer viel zu viele Wörter falsch geschrieben. Im Gespräch erklärt Monika A.: "Das Üben könnten wir uns eigentlich auch schenken. Es bringt nichts und Marie und ich geraten jedes Mal in Streit!" Wie Monika A. ergeht es mehr Eltern als man vielleicht denkt. Marie ist nicht faul oder bockig, Marie hat eine LeseRechtschreib-Schwäche (LRS). Andere Kinder merken sich optisch, wie ein Wort geschrieben wird: Steht das Wort mit Rechtschreibfehler auf dem Papier, sieht es für sie "falsch" aus. Marie dagegen kann nur schwer Wortbilder abspeichern. Sie muss sich die Schreibweise jedes Mal herleiten: Welche Buchstaben höre ich und welche Rechtschreibregel müsste ich hier vielleicht zur Anwendung bringen? Eine Studie der Uni Würzburg geht davon aus, dass 4 bis 12 Prozent der Schüler von LRS betroffen sind. Einig ist man sich in der Fachwelt auch, dass die Ursachen genetisch sind. „Ist ein Kind in der Familie von einer Legasthenie betroffen, so sind in Katja Grapentin, Jahrgang 1965, hat zunächst Psychologie an der Universität Hamburg studiert und anschließend in der Personalabteilung großer Unternehmen gearbeitet. Ihre 3-jährige Zusatzausbildung zur integrativen Lerntherapeutin für Dyslexie und Dyskalkulie hat sie beim KREISEL e.V., Institut für Weiterbildung und Familienentwicklung, absolviert. Sie hat selbst zwei Kinder. Nach einer Familienpause hat sie sich mit einer eigenen Praxis in Frankfurt Sachsenhausen selbstständig gemacht. Ihr Ziel ist es, dass Kinder ihre Lernschwierigkeiten überwinden und wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickeln. gut 40 Prozent der Fälle auch Geschwister oder ein Elternteil betroffen – oder beide“, sagt Humangenetiker Professor Tiemo Grimm. Mit der Intelligenz hat LRS nichts zu tun, wie Tests zeigen. Kinder mit LRS schneiden genauso gut oder schlecht ab wie ihre Klassenkameraden ohne LRS. Marie ist ein Fall für den Lerntherapeuten, der sich auf Lese-Rechtschreibschwäche spezialisiert hat, denn es gibt wissenschaftlich überprüfte wirksame Methoden, um Kindern wie Marie zu helfen. Die individuelle Therapie setzt bei den Stärken des Kindes an. Dazu schaut der Therapeut genau hin, was das Kind schon gut kann zum Beispiel Wörter in Silben zu gliedern ("Silben-Klatschen"). Das kann man dann nutzen, um die Doppelkonsonanten in Wörtern zu entdecken. Mit abwechslungsreichemÜbungsmaterial wie "Doppelkonsonanten-Memory" oder "Reimwörter-Bingo" schult das Kind seine Fähigkeiten. Es lernt wirksame Strategie, um beim freien Schreiben Rechtschreibfehler zu vermeiden. Wer zu häufig Misserfolgserlebnisse hat und dann noch den Satz "Wie dumm kann man eigentlich sein!" hört, hat von sich kein positives Bild. Ziel einer Lerntherapie ist es daher auch, wieder Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und damit das Selbstbewusstsein zu stärken. Marie konnte letzte Woche stolz berichten: "Mama, ich war die einzige in der Klasse, die die Regeln für "s","ss" oder "ß" erklären konnte." Für die Suche nach geeigneten Lerntherapeuten gilt: Gründlich ausgebildete und kompetente Lerntherapeuten findet man über den Berufsverbänden BVL oder FiL oder über das Therapeuten-Netzwerk des KREISEL e.V. 28 | Mittendrin Bild: Adobe Stock

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