Manch Kinderzimmer gleicht einem Regenbogen, andere sind farblich eher zurückhaltend. Mainkind sprach mit Professor Axel Buether. Er gilt als Deutschlands führender Farb-Experte, hat Bücher wie „Die geheimnisvolle Macht der Farben“ geschrieben und lehrt an der Bergischen Universität Wuppertal. Sein Credo: Farben stehen für Lebensfreude.
Herr Professor Buether, wenn Eltern die Vorfreude aufs Kind in der Einrichtung des Kinderzimmers ausleben, spielen auch Farben eine Rolle. Was empfehlen sie Mama und Papa in spe?
Axel Buether: Das ist ganz interessant, denn Farben werden sehr unterschiedlich wahrgenommen und Eltern projizieren immer Eigenschaften auf ihre Kinder. Es gibt kulturelle Unterschiede bei den Eltern ebenso wie es Unterschiede gibt in der Bildung, in den persönlichen Interessen oder in den soziokulturellen Milieus. Deshalb kann man keine pauschale Empfehlung geben, wie jetzt alles pastellig oder greige* zu machen (*Anm. d. Red.: Greige ist eine Mischung aus den Farbnuancen Grau und Beige. Abhängig von den Lichtverhältnissen kommen mal mehr die Beige-, mal die Grautöne zum Vorschein.). Es ist immer die Frage, womit sich die Eltern wohlfühlen und was sie denken, welche Räume positive Einflüsse auf das Kind haben. Das wiederum hängt von der eigenen Persönlichkeit ab.
Spiegelt sich also der Einfluss der Eltern im Kinderzimmer?
Genau. Wir haben einen engen Zusammenhang zwischen den Farbvorlieben eines Menschen und dessen Persönlichkeit. In der frühen Kindheit übertragen Eltern ihre eigenen Farbvorlieben auf den Nachwuchs und damit auch ihre Wünsche für die Persönlichkeit des Kindes. Ein buntes Spielzimmer, das von den Farben rot, grün, blau oder gelb geprägt ist, steht für Lebensfreude und assoziiert die perfekte Kindheit. Dazu gehören Attribute wie unbeschwert, glücklich, fröhlich, die allesamt die Wünsche für eine perfekte Kindheit ausdrücken.
Wird diese perfekte Kindheit von den Farben des Regenbogens begleitet?
In diesen Farben stecken viele Wünsche der Eltern, beispielsweise nach einer unbeschwerten, glücklichen, fröhlichen Kindheit. Das sind die Farben des Paradieses, und sie stehen zugleich für die Wünsche und Ideen für das Kind. Das ist der Klassiker.
Aber nicht alle Eltern gehen den klassischen Weg?
Je nach Milieu. Eltern aus eher hedonistischen, konsumorientierten oder am Erleben orientierten Milieus setzen sehr stark auf bunte Farben, während Eltern aus bürgerlichen oder etablierten Milieus die Kinderzimmer sehr gerne entfärben. Diese Gruppen wählen eher zurückhaltende Farben für den Spross, egal ob Junge oder Mädchen. Da hat man dann eher einen Creme-Ton an der Wand, vielleicht auch ein ruhiges Blau, aber auf keinen Fall bunt.
Wie sieht es mit Eltern aus, die der ökologischen Linie anhängen?
Diese Eltern neigen dazu, Kinderzimmer sehr stark mit Naturfarben zu versehen. Die Farbauswahl ist dann von Beige- und Greige-Tönen geprägt, hinzu kommen die sehr freundlichen Töne von Naturtextilien wie ungefärbter Baumwolle, ungefärbtem Leinen oder ungefärbtem Hanf. Dazu passen Holzmaterialien und Akzentfarben in Salbeigrün oder Taubenblau, alles eher abgetönte, sehr nachhaltig und ökologisch wirkende Buntfarben.
Sie haben jetzt verschiedene Richtungen skizziert. Aber was brauchen die Kinder tatsächlich?
Wenn die Kinder sehr klein sind, ist es wichtig, dass sie im Kinderzimmer eine warme Atmosphäre haben. Sie kommen aus dem Mutterleib, wo die kalten Töne herausgefiltert sind, das Licht dennoch sanft hindurchfällt. Da hat man es eher wohlig warm. Ein warmes Violett ist da toll, ebenso ein dunkles Braun-Orange. Viele Eltern hängen intuitiv Stoffe mit diesen Farben an die Wiege oder vors Fenster. Wenn man seinem Kind in der ersten Lebensphase, bevor es zu laufen anfängt, etwas Gutes tun will, macht man es nicht zu hell, nicht zu grell.
Diese Farben und das sanfte, warme Licht signalisieren Geborgenheit und Schutz. Wie geht es weiter? Mit welchen Farben begleiten Eltern ihre Kinder in den nächsten Jahren?
Da gibt es zwei Hauptströmungen: Einmal die Eltern, die klassisch zwischen Mädchen und Jungen unterscheiden, und die Eltern, die ihr Kind nicht schon von Beginn an auf Geschlechterrollen festlegen möchten.
Wie gehen die klassischen Eltern vor?
Da gibt es eine Geschlechtertrennung auch in den Farben. Bei Mädchen sind eher klassisch warme Farben im Spiel wie rosa, gelb, orange oder auch abgetönte Weißtöne. Bei Jungs läuft es auf Khaki-Farben oder hellblau hinaus, es kann aber auch mal ein kräftiges Rot sein. Diese Trennung zeigt sich nicht nur in den Farben des Kinderzimmers, sie setzt sich auch fort im Kinderwagen, Spielzeug und anderen Dingen.
Zu welchen Farben greifen die anderen Eltern?
Sie gehen in den mittleren Bereich, wählen Farben aus, die nicht auf den ersten Blick einem Geschlecht zugeordnet sind, also eher zarte Töne für einen sensiblen Jungen und etwas Kräftigeres für ein Mädchen, das vielleicht frecher und selbstbewusster erscheint und auch werden darf.
Eher blass scheint Mode zu sein, geben zumindest Kinderzimmer in einigen Social-Media-Kanälen vor. Was fehlt Kindern, die in einem farbarmen Zuhause groß werden?
Sie sprechen einen interessanten Punkt an, denn in der frühkindlichen Phase braucht ein Mensch schon Reize. Wenn wir keine unterschiedlichen Reize haben, entwickelt sich unser Wahrnehmungssystem nicht gut. Das gilt für den Geschmack, denn nach der Muttermilch ist es wichtig, dass Kinder verschiedene Geschmäcke kennenlernen, schließlich ist es gut, wenn sie nicht immer nur das gleiche essen möchten. Das gilt auch für andere Wahrnehmungen wie das Tasten. Es ist gut, wenn ein Kind möglichst viele Dinge mit unterschiedlichen Formen und Oberflächen zum Anfassen bekommt, um seine Tastwahrnehmung zu entwickeln. Und genau so ist das bei den Farben. Aber das muss nicht alles an den Wänden des Kinderzimmers stattfinden, schließlich sollen sie auch zur Ruhe kommen und schlafen können.
Was könnte passieren, wenn ein Kinderzimmer zu bunt ist?
Dann könnte es auf Hyperaktivität beim Kind hinauslaufen, und es könnte schwierig sein, dass Kind zur Ruhe und zum Schlafen zu bringen. Daher schlage ich vor, eher etwas ruhigere, gedecktere Farben zu wählen und lieber bei Materialien wie Spielzeug oder anderem in Sachen Farben zuzuschlagen. Das hat den Vorteil, dass man sie einfach beiseite räumen kann.
Also mit bunten Elementen Abwechslung in Kinderzimmer bringen.
Genau, das ist nicht nur wichtig, sondern auch notwendig für Kinder. Wenn sie mit einer großen Palette an Farben zu tun haben, seien es auch nur die Stifte zum Malen, ist das wahnsinnig wichtig für die frühe kindliche Entwicklung.
Wo machen sich Eltern an besten schlau in puncto Farbgestaltung? Wer ist der bessere Ratgeber: Fachliteratur, Internet oder das Bachgefühl?
Letztlich suchen sich Eltern die Kanäle, die zu ihren Wertvorstellungen passen. Das gilt ja auch für die Vornamen. Deren Wahl hat etwas mit dem sozikulturellen Milieu zu tun, aus dem die Eltern stammen.
Gehen wir mal weg von den Wünschen der Eltern. Was sagt die Wissenschaft, wie Farben auf Kinder wirken?
Allen Studien gemein ist, dass sie Geschlechterstereotypen manifestieren: Für Mädchen stehen da Attribute wie zart, hübsch und feinfühlig, währenddessen Jungs eher als etwas cooler, beherrschter und kräftiger daherkommen. Solche Stereotypen stecken in der Farbwelt der Kinder. Eltern, die genau das nicht möchten, sollten das auch nicht etablieren und eher geschlechtsneutrale Farben im Kinderzimmer verwenden bevor die Kinder ihre eigenen Farben verlangen. Wenn Kinder in die Kita oder in die Schule gehen, beginnen sie, sich mit ihren Peergroups zu identifizieren. Als Eltern hat man dann verloren. Aber das ist gut so, schließlich sollen die Kinder selbstständig werden. Die erste Ablösetendenz lässt sich gut über die Farbwahl erkennen, denn die richtet sich irgendwann nicht mehr nach den Eltern, sondern nach der Freundin, dem Freund oder der Gruppe.
Sie gaben gerade die Stichworte Kita und Schule. Räume dort sind häufig eher kreideweiß oder mausgrau gehalten. Welche Erkenntnisse hat die Wissenschaft über die Wirkung von Farben in Gruppenräumen?
Farbe ist ein wesentliches Element, damit sich Menschen in ihren Lebensräumen wohl fühlen. Die Natur ist auch nicht farblos. Sie hat Farben, die an verschiedenen Orten für verschiedene Natursituationen typisch sind. Wenn wir diese Naturassoziationen auf die verschiedenen Funktionen in der Schule übertragen, sind beispielsweise für Orte, an denen hohe Konzentration und logisches Denken erforderlich sind, eher kühlere Farben mit einem hellen Licht förderlich. Nach Studienlage ist es so, dass sich Kinder in einer helleren, kühleren Atmosphäre eher besser konzentrieren können und aufmerksamer sind, dass Sprachtests oder auch Mathearbeiten in solchen Umgebungen besser ausfallen. Andererseits ist es ein Problem, wenn man Kinder in solchen Räumen zur sozialen Interaktion anhalten will. Dafür sind diese Farben denkbar ungeeignet. Wenn Räume kühl und hell sind, finden kaum soziale Begegnungen statt. Dafür sind Wohlfühlfarben viel besser geeignet wie klassische Erdfarben ebenso wie erdige Grün- oder Blautöne und auch abgetönte Farben in Richtung Orange. In solch einer Atmosphäre kann man Kinder zur Ruhe bringen und dort funktionieren auch Tätigkeiten wie Lesen viel besser.
Müsste die ideale Schule verschieden farbige Zonen haben, je nach Aufgaben und Inhalten?
Das ist ganz, ganz wichtig. Schon im Eingang ist eine freundliche Farbe wichtig, damit es nicht kalt und unpersönlich losgeht. Das wäre eine Visitenkarte für die Freude am Lernen. Die Klassenräume selbst sollten je nach Zweck wie etwa konzentrierter Atmosphäre bis zu anregend kreativen Tätigkeiten entsprechend farblich gestaltet sein. Optimal wäre es, auch die Mensa oder Essensräume hinzuzunehmen, wo mit Farben zum gemeinsamen Essen angeregt werden kann.
Welche Farbe macht denn Appetit?
Auf keinen Fall die Farbe des Essens an die Wand malen – davon rate ich dringend ab. Die Farben des Essens haben eine wichtige biologische Funktion. Sie erzeugen Appetit und regen auch Verdauungsvorgänge an. Wenn da Essen farblich nicht wirken kann, haben Kinder keinen Hunger oder das Essen liegt ihnen schwer im Magen. Das Essen sollte natürlich aussehen und die Wände alles andere als spinatgrün sein. Für Wände käme unter anderem ein Salbeigrün, ein beeriges Grauviolett oder auch ein Lehmbraun in Frage, die Atmosphäre sollte nicht zu dunkel sein, darf gerne appetitanregend sein, besser ein gutes Licht im Tageslichtspektrum. Dann sieht das Essen natürlich aus und macht Appetit.
Das Interview führt Klaus Kühlewind.
Über Axel Buether
Axel Buether (Jahrgang 1967) stammt aus Weimar. Nach einer Ausbildung zum Steinmetz sowie der Arbeit als Restaurator und Steinbildhauer studierte er Architektur in Berlin und London. Als Diplom-Architekt realisierte er zahlreiche Projekte wie den Bertelsmann-Pavillon auf der Expo 2000. An der Universität Stuttgart promovierte er im Grenzbereich von Wahrnehmungspsychologie und Architekturtheorie. Nach einer wissenschaftlichen Assistenz im Lehrgebiet „Entwerfen Wohn- und Sozialbauten“ an der Universität Cottbus ging er für die Professur „Farbe Licht Raum“ an die Kunsthochschule Halle und bekleidet nach weiteren Stationen in Hannover und Siegen seit 2012 die Professur für „Didaktik der visuellen Kommunikation“ im Fachbereich Design und Kunst an der Bergischen Universität Wuppertal.
Gewinnspiel
Neben zahlreicher Fachliteratur hat Buether ein Werk verfasst, das es bis in die Spiegel-Bestseller-Liste schaffte: „Die geheimnisvolle Macht der Farben“. In dem bei Droemer erschienen Standardwerk beschreibt Buether Farben als größtes Kommunikationssystem der Erde, die auch unser Leben im Alltag steuern. Für den Autor ist es unmöglich Farben wertneutral, emotionsfrei oder inhaltsleer zu sehen – jede Farbe wirkt.
Der Verlag Droemer Knaur hat MainKind drei Exemplare des Buches für ein Gewinnspiel zur Verfügung gestellt.
Teilnahme via Mail an
gewinnspiel@mainkind-magazin.de
Stichwort: „Die geheimnisvolle Macht der Farben“.
Einsendeschluss: 31.12.2024