Ali Mitgutsch war der Erfinder der Wimmelbücher. Der Illustrator mit dem grauen Riesenschnauzbart ist am 10. Januar in seiner Geburtsstadt München gestorben. Er hinterlässt mehr als 70 Kinderbücher, die auch in vielen Jahren noch Kinder erfreuen werden.

Lange Abende lagen wir im Bett, doch die Augen des jungen Mannes wollten partout nicht herabklappen. Er klappte viel lieber noch eine weitere Seite auf, verlor sich mit großen Augen in der neuen Doppelseite und ließ den Zeigefinger mit angeknabbertem Nagel von Figur zu Figur wandern. Ein weiter Weg, denn auf den Seiten des Kinderbuches wimmelte es – es war „Mein großes Wimmelbuch“ von Ali Mitgutsch. Ähnlich dürfte es abertausenden von Müttern und Vätern ergangen sein, die mit ihrem Sohn oder ihrer Tochter die Welt in den Wimmelbüchern zu erkunden suchten. Der Schöpfer der Wimmelbücher indes hat sich verabschiedet: Ali Mitgutsch ist am Montag im Alter von 86 Jahren gestorben.

„Rundherum in meiner Stadt“ hieß sein erstes Wimmelbuch, das 1968 im Ravensburger Verlag erschienen ist. Ein Buch, das den bisher bekannten Blick veränderte und das ihm im Jahr darauf den Deutschen Jugendbuchpreis bescherte. „Jedes einzelne Wimmelbild ist ein Teil von mir. Meine Wimmelbücher sind gemacht, um die Kinder in die Gärten der Fantasie zu führen, dass sie selbst weitermachen“, sagte der Illustrator in Interviews zu seinem 80. Geburtstag. Mit den Wimmelbüchern hatte der Münchner ein neues Genre geschaffen. „Die Aufsicht auf Dinge und Situationen blieb für mich ein Leben lang ein spannendes Thema: Sie wurde die Perspektive all meiner Wimmelbilder“, berichtete der Zeichner später.

In einem sehr hörenswerten Beitrag im Deutschlandfunk zu seinem Tod kommt Mitgutsch selbst noch einmal zu Wort, erzählt von seiner Kindheit im Zweiten Weltkrieg mit Hunger und großer Not seiner Familie als bitterarme Flüchtlinge. „Der schüchterne Junge, der eigentlich Alfons hieß, litt unter den Demütigungen anderer Kinder. So zog er alleine los: „Ich wanderte durch die Auen und den Wald allein und träumte mir die Abenteuer, die ich in Wirklichkeit nicht erlebt habe, weil ich keine Freunde hatte“, erinnerte sich der Künstler später“, heißt es im DLF. Dort ist auch die Brücke gebaut von Erlebnissen auf dem Riesenrad eines Münchner Jahrmarktes hin zu den Wimmelbüchern, die eben alles überblicken ohne Kleinigkeiten zu verdrängen.

Laut einem Beitrag des NDR verkauften sich in Deutschland mehr als fünf Millionen Exemplare seiner Wimmelbücher, international kamen mehr als drei Millionen hinzu. Mitgutsch bündelte darin alltägliche Szenen und spickte sie mit humorvoll dargestellten Missgeschicken und Absurditäten. Und er ließ die Bilder stets für sich sprechen, kam ganz ohne Worte aus.

„Wir verneigen uns vor einem Freund und langjährigen Autor“, schreibt der Ravensburger Verlag in einer Mitteilung. „Ali Mitgutschs Werk hat in all den Jahrzehnten nichts von seiner Strahlkraft und Faszination verloren“, zitiert der SWR in einem Hörfunkbeitrag den Vorstandsvorsitzenden der Ravensburger AG, Clemens Maier. Mitgutschs Sicht auf die Welt, auf den Zauber des Alltäglichen, sei einzigartig gewesen, habe Generationen von Kindern und Erwachsenen begeistert. Seit 2017 war Mitgutsch im Ruhestand, hatte sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Seine Popularität allerdings tat dies keinen Abbruch: Er erhielt auch im Alter von 85 Jahren noch Anfragen für neue Illustrationen. Mit dem Alter hätten seine Kräfte abgenommen, so der Ravensburger Verlag, den Humor habe er verlor jedoch nie verloren.

kakü