Mit klaren Worten untermauert Jamie Oliver seinen Kampf gegen die Junk-Food-Werbung. „Tag für Tag bombardiert die Lebensmittelindustrie unsere Kinder mit Werbung für Zuckerbomben und fettige Snacks“, beschreibt der Starkoch den Status quo und nennt Beispiele, wie die Werbung für Chips, Süßwaren und Hamburger in die Gehirne der jungen Menschen dringen: Die Lebensmittelindustrie schaltet TV-Spots während Fußballspielen, Casting-Shows und Kindersendungen und engagiert beliebte Influencerinnen. In seinem Heimatland Großbritannien hatte sich Oliver bereits vor vier Jahren unter dem Titel „We’ve #AdEnough of junk food marketing“ an einer ähnlichen Kampagne von Ärzteverbänden und Elternorganisationen gegen Junkfood-Werbung beteiligt – mit Erfolg. „Um Kinder und Jugendliche vor den perfiden Marketing-Tricks zu schützen, haben wir in Großbritannien ein weitreichendes Gesetz erkämpft“, sagt Oliver. Dort soll 2024 eine umfassende Werbebeschränkung in Kraft treten. Demnach soll im Internet Werbung für Ungesundes komplett untersagt und im TV ausschließlich nachts ausgestrahlt werden.
Wenn Deutschland einen ähnlichen Weg beschreite oder sogar noch weiter gehe, um Kinder angemessen zu schützen, wäre das ein Meilenstein, sagt Oliver und fordert: „Werbebeschränkungen sind ein zentraler Baustein zum Schutz der Kindergesundheit.“ Damit hat er sich an die Spitze eines Bündnisses gesetzt, dem mehr als 40 Organisationen angehören. Sie fordern gemeinsam mit dem TV-Starkoch die Ampel-Koalition auf, Kinder und Jugendliche vor Werbung für Lebensmittel mit viel Zucker, Fett oder Salz zu schützen. Werbung beeinflusse „nachweislich die Präferenzen und das Essverhalten“ junger Menschen, heißt es in dem offenen Brief an die Parteivorsitzenden von SPD, Grünen und FDP, den zahlreiche medizinische Fachgesellschaften, Forschungseinrichtungen, Elternverbände, Verbraucherschutz- und Kinderrechtsorganisationen sowie Krankenkassen und Ernährungsorganisationen unterzeichnet haben
In einer Pressemitteilung erinnert das Bündnis daran, dass die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag angekündigt hatten, gegen Junkfood-Werbung vorzugehen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf des Bundesernährungsministeriums soll wohl in Kürze vorgelegt werden. Das Bündnis pocht jedoch auf eine „umfassende Regelung“. Eine „Werbebeschränkung light“, die lediglich für klassische Kindersendungen gelte, würde „ihr Ziel verfehlen“. Das Gesetz müsse Junkfood-Werbung in TV, Radio und Streamingdiensten tagsüber von 6 bis 23 Uhr untersagen.
Das Bündnis nimmt auch Werbefiguren in den Fokus, die für junge Menschen von Bedeutung sind: Influencerinnen und Influencer. Sie sollten ausschließlich Werbung für gesunde Lebensmittel machen dürfen. Auch soll es eine Bannmeile geben für Kitas, Schulen und Spielplätze. Im Umkreis von 100 Metern soll Plakatwerbung für kritische Lebensmittel tabu sein. Und damit es keine endlosen Diskussionen gibt, welche Lebensmittel zu welcher Kategorie gehören, empfiehlt das Bündnis, die unabhängigen Nährwert-Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Leitplanke.
„Die Zeit der wirkungslosen freiwilligen Selbstverpflichtungen der Lebensmittelindustrie ist vorbei und das ist richtig so“, sagt Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK). Die Bundesregierung darf nun keine halben Sachen machen, denn nur ein umfassendes Gesetz könne Kinder vor Junkfood-Werbung schützen. Die Regeln dürften nicht nur reine Kinderformate, sondern müssen auch Familiensendungen umfassen, „denn junge Menschen gucken nicht nur Zeichentrickfilme, sondern auch Fußballspiele und Casting-Shows“, sagt Bitzer.
Die Reichweite der Junkfood-Werbung dokumentiert eine Studie der Universität Hamburg. Demnach sieht jedes Kind zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel. In 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, geht es um Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Allein die Süßwarenindustrie hat 2021 über eine Milliarde Euro für Werbung ausgegeben – so viel wie in keinem anderen Jahr zuvor.
„Kinder müssen umfassend vor Werbung für ungesunde Lebensmittel geschützt werden“, drängt Ramona Popp, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Verbraucherzentrale. Sie sieht das Thema als drängend an, denn bereits im vergangenen Jahr hätten sich 93 Prozent der Eltern und Großeltern für Zucker-, Fett- und Salz-Höchstgrenzen bei Lebensmitteln mit Kinderoptik ausgesprochen. „Die Ampel muss diesem Wunsch nachkommen und endlich ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen“, sagt Pop.
Dass ungesunde Ernährung krank macht, hat die Organisation für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) erfasst. Laut ihrem Länderprofil Gesundheit essen Deutschlands Kinder etwa doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Aktuell sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und sechs Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Ihnen drohen im späteren Leben Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der OECD auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.
Für das Bündnis ist eine „Werbebeschränkung ein wichtiger Schritt, um Familien dabei zu unterstützen, Kindern eine gesunde Ernährungsweise beizubringen“. In dem Schreiben an die Parteivorsitzenden fordern die 40 Verbände: „Wir bitten Sie hiermit gemeinsam als breites zivilgesellschaftliches Bündnis: Machen Sie sich für eine wirksame Ausgestaltung der Regelung stark.“
kakü