Überaus kontrovers verläuft die Debatte ums Impfen von Kindern und Jugendlichen gegen das Corona-Virus. Ende der Woche soll indes entschieden werden, ob der Impfstoff überhaupt freigegeben wird.
Da gehen die Meinungen mächtig auseinander. Während Gesundheitsminister Jens Spahn sich mächtig ins Zeug legt und jungen Mensch von zwölf Jahren an noch im Sommer ein Impfangebot machen möchte, halten Ärzte wenig davon. In einem Interview mit der Bild am Sonntag hatte Spahn gesagt: „Das erklärte Ziel ist, dass die Länder den minderjährigen Schülerinnen und Schülern bis Ende August ein Impfangebot machen. Weil für sie wegen der Zulassung nur ein bestimmter Impfstoff in Frage kommt, müssen dafür genügend Biontech-Dosen reserviert werden.“
Der Kinderarzt Martin Terhardt, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) ist, hingegen möchte das Tempo eher herausnehmen – und dafür nennt er im Hörfunksender hr info auch einige Gründe. Für Kinder habe die Beurteilung der Sicherheit eines Impfstoffs aus zweierlei Gründen eine große Bedeutung: Einmal hätten sie noch ein sehr langes Leben vor sich, andererseits sei die neue Technologie der mRNA-Impfstoffe bei Kindern noch nie angewendet worden. „Wir haben einfach keine Erfahrungen, was eventuell an seltenen Komplikationen durch diesen Impfstoff ausgelöst werden kann. Es kann gut sein, dass da gar nichts passiert, aber wir wissen es einfach noch nicht, die Datenlage ist noch nicht zuverlässig genug“, sagte Terhardt dem Sender.
Dort kam auch Sebastian Hoehl zu Wort. Der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin am Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt spricht sich für die Impfung von Kindern aus, denn „es gibt einen definitiven Nutzen durch Verhinderung von seltenen, aber schweren Komplikationen, gerade auch bei Kindern mit schweren Vorerkrankungen, die für einen schweren Verlauf von einer frischen Corona SARS-COV-2-Infektion besonders gefährdet sind.”
Sollte der Biontech-Impfstoff am Freitag die Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA erhalten, gilt es für Tenhardt und die anderen Mitglieder der Ständigen Impfkommission abzuwägen, ob sie den Piks für Kinder von 12 Jahren an empfehlen.
Mag der Schutz vor dem Virus auch kommen, Corona und der lange Lockdown haben vielen Kindern und Jugendlichen zugesetzt. Dies erkannt hat auch Gesundheitsminister Spahn. „Zu viele Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern haben nicht stattgefunden, Impfungen gegen Kinderkrankheiten sind ausgefallen, dazu kommen psychische Belastungen. Ich möchte daher noch vor den Sommerferien mit Kinderärzten, Psychologen, Erziehungswissenschaftlern sprechen, wie wir diese Versäumnisse auffangen können.“
Auch der Kinderschutzbund Hessen ruft dazu auf, den Blick auf die Kinder zu richten: „Wir müssen zuhören, Kinder unterstützen und mit Blick auf die steigende Zahl von Gewalt gegen Kinder, Kinder besser schützen“, fordert Olivia Rebensburg, Geschäftsführerin des Landesverbandes. Dass dies dringend ist, belegen am Mittwoch veröffentlichte Zahlen des Bundeskriminalamtes: So stieg die Zahl der Misshandlung Schutzbefohlener um zehn Prozent auf 4918 polizeilich registrierte Fälle. Zugenommen haben auch die Fälle von Kindesmissbrauch – und zwar um 6,8 Prozent auf mehr als 14 500 Straftaten.
Diese Entwicklung spüren auch die Beratungsstellen des Kinderschutzbundes. Dort gehen immer mehr Anfragen ein. Laut Rebensburg wurden verschiedene Angebote entwickelt, um Kinder und Familien gemäß den aktuellen Corona-Auflagen gut zu unterstützen. „Die Kolleginnen und Kollegen in den Fachberatungsstellen tun alles, was möglich ist. Die Grenze ist allerdings bei vielen erreicht.“
In der Beratungsarbeit kämen alle Formen der Gewalt gegen Kinder vor. Inzwischen fänden auch Familien den Weg in die Beratungsstellen, die als stabil galten. Rebensburg: „Hier wächst der Druck im Kessel, denn die meisten Familien sind nach 17 Monaten Pandemie am Limit.“ In zahlreichen Familien komme es zu Trennungen und Scheidungen, eine Situation, die in den engen Lebens- und Wohnverhältnissen mit Homeoffice und Homeschooling noch belastender für Kinder sei als ohnehin. „Viele Kinder und Jugendliche leiden unter dem Druck in der Schule, sie haben Angst, im Schulstoff nicht mehr mitzukommen“, sagt Rebensburg. Programme wie das der hessischen Landesregierung „Löwenstark“ seien zwar gut, aber es brauche zur Entlastung jetzt vor allem langfristige Angebote. „Probleme, die sich in 17 Monaten aufgebaut habe, sind nicht durch eine zweiwöchige Ferienmaßnahme zu kompensieren.“
kakü