Vier Jahre lang haben Wissenschaftler mehr als 6500 Grundschüler begleitet und getestet. Das Fazit der Studie der Technischen Universität München lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Fitte Kinder haben mehr im Kopf. Wir haben mit Tanja Postler gesprochen, die federführend mit der Studie betraut war.

Frau Postler, waren Sie überrascht von den Resultaten der Sport-Studie mit Grundschulkindern?
Tanja Postler: Nein! Es ist ganz normal, dass es sportlichere und unsportlichere Kinder gibt und dies zeigt sich eben in unserer Studie an ihrer körperlichen Fitness. Insgesamt decken sich die Ergebnisse hinsichtlich der motorischen Fähigkeiten mit Vergleichswerten nationaler und internationaler Studien sowie den aus der Literatur bekannten Informationen und Entwicklungsverläufen bezüglich der Motorik von Kindern. Wir hatten immer den Eindruck, dass es eine Verbindung zwischen der Motorik der Kinder und ihren kognitiven Fähigkeiten gibt. Aus der Theorie ist bekannt, dass Bewegung auch die geistige Fitness fördert.

Wie hängt das zusammen?
Körperliche Aktivität sorgt für eine stärkere Durchblutung des Gehirns, die Zellen werden besser mit Sauerstoff und Glukose versorgt und damit insgesamt die Leistungsfähigkeit des Nervensystems erhöht. So hilft Sport oder einfach auch nur eine kurze Bewegungspause kurzfristig bei Konzentrationsschwächen oder Aufmerksamkeitsproblemen, um sich anschließend wieder fokussieren zu können. Langfristig wird der Informationsaustausch zwischen den Zellen gefördert und somit die geistige Vitalität insgesamt gesteigert: Sämtliche kognitiven Gehirnfunktionen wie Denken, Lernen, Konzentration, Wahrnehmung, und Erinnerung werden positiv beeinflusst.  Nun haben wir dies erstmals direkt gemessen und können den Zusammenhang zwischen der körperlichen und geistigen Fitness anhand eigener Zahlen und Ergebnisse wissenschaftlich bestätigen: Fittere Kinder können sich besser konzentrieren – das zeigt sich bereits in der Grundschule und gilt sowohl für Mädchen als auch für Jungen!

Was war der Anlass, den Zusammenhang zwischen sportlichen und schulischen Ambitionen unter die Lupe zu nehmen?
Der Ursprung unserer Studie liegt im Projekt „Sternstunden der Gesundheit“, das im Schuljahr 2012/13 am Schülerforschungszentrum Berchtesgadener Land stattfand. Dort wurden in Kooperation der Technischen Universität München (TUM) und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) Gesundheitstage für Schulklassen veranstaltet. Für die Schüler ging es um die Frage „Wie gesund sind meine Gefäße und wie fit bin ich?“. Die Untersuchung zeigte, dass schon im Kindesalter das Herz-Kreislauf-System von einer guten Fitness profitiert.

Wie ist es bestellt um den Übergang wissenschaftlicher Erkenntnisse in den gelebten Alltag?
Insgesamt sind mir persönlich bei dem ganzen Projekt nicht die Ergebnisse wichtig, sondern die Annahme des Projekts durch die Schulen und die individuelle Entwicklung der Kinder. Fit und clever soll den Kindern ein Begriff sein: Sie sollen mit Spaß an Bewegung herangeführt werden, all die positiven Effekte von Bewegung und gesunder Ernährung frühzeitig kennenlernen und die hohe Bedeutung der Fitness für ihr zukünftiges Leben verstehen.

Wie wurde den Kindern sportlich auf den Zahn gefühlt?
Zur Erfassung der motorischen Fähigkeiten wie Kraft, Koordination, Ausdauer hatten wir eine standardisierte Testbatterie aus sechs einfachen Übungen: Liegestütze, Sit-Ups, Hand-Dynamometrie, Standweitsprung, Seitliches Hin- und Herspringen und Pendellauf. Zusätzlich wurden Größe und Gewicht gemessen sowie daraus der Body-Mass-Index berechnet.

Und wie sahen die kognitiven Tests aus?
Bei der Untersuchung kognitiver Parameter haben wir uns für die Konzentration entschieden und einen standardisierten Paper-Pencil-Test eingesetzt, mit dem die individuelle Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit erhoben werden kann. Der Testbogen ist kurz gesagt ein Blatt mit vielen Zeichen. Jedes Zeichen besteht aus dem Buchstaben d oder p und 1 bis 4 Strichen ober- oder unterhalb des Buchstabens. Es gibt 14 Reihen mit jeweils 57 Zeichen. Aufgabe ist es, alle d´s mit 2 Strichen durchzustreichen und dabei möglichst wenig Auslassungs- und Verwechslungsfehler zu machen. Für Kinder der ersten Klasse ist dies noch zu schwer, deshalb stand für sie ein anderer Test zur Erfassung der kurzzeitigen selektiven Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung an.

„Sämtliche kognitiven Gehirnfunktionen wie Denken, Lernen, Konzentration, Wahrnehmung, und Erinnerung werden positiv beeinflusst.“

Was wurde noch untersucht?
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität – das ist ein vielschichtiges Konstrukt aus physischen, psychischen und sozialen Faktoren.  Sie wurden durch eine Selbsteinschätzung der Kinder anhand eines speziellen Fragebogens erfasst. Darin geht es um eine Einschätzung des eigenen Wohlbefindens und der Lebensqualität wozu neben dem körperlichen und psychischen Wohlbefinden auch die Selbstwahrnehmung, das Selbstwertgefühl, die Qualität der Beziehungen in der Familie und im Freundeskreis sowie das schulische Wohlbefinden zählen.

In welchem Zusammenhang stehen Fitness, Konzentrationsfähigkeit und Lebensqualität?
Die drei Faktoren hängen positiv miteinander zusammen: Fittere Kinder können sich besser konzentrieren und haben eine höhere gesundheitsbezogene Lebensqualität. Vor allem das Körper- und das Selbstwertgefühl sowie das Wohlbefinden unter Freunden und in der Schule werden durch die Fitness beeinflusst.

Und was wiegt schwerer: Ausdauer oder Kraft?
Innerhalb der motorischen Parameter hat die Ausdauerleistung den größten Einfluss auf die Konzentration und die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Betrachtet man den BMI zeigt sich ein negativer Zusammenhang: Übergewichtige Kinder sind weitestgehend sehr unfit, schwächer in der Konzentration und haben ein geringeres gesundheitsbezogenes Wohlbefinden. Diejenigen Kinder jedoch, die trotz ihres hohen Gewichts aktiv sind und eine gewisse Fitness haben, sind davon weniger betroffen! Dies ist ein eindeutiges Indiz für die hohe Bedeutung der körperlichen Fitness und zeigt uns, dass die Fitness hier am Ende entscheidender ist als der reine Gewichtsstatus.

Welche Schlussfolgerung ziehen Sie als Wissenschaftlerin aus der Studie?
Dass wir weiterhin und jetzt durch die Folgen von Corona sogar noch mehr dem Bewegungsmangel entgegenwirken müssen und Kindern geeignete Maßnahmen bieten, ihre Bewegungsaktivität zu fördern. Dabei geht es weniger um die sportliche Leistung, sondern allgemein um ausreichend Bewegung. Es gilt insbesondere, diejenigen zu erreichen und zu motivieren, die selbst in ihrer Freizeit weniger aktiv sind. Die Schule ist hierfür ein optimaler Ansatzpunkt, da sich entsprechende Maßnahmen relativ einfach in den Schulalltag integrieren lassen und hier alle Kinder – auch unabhängig von ihrem soziokulturellen Satus – einbezogen werden können.

Lohnt es sich nicht in vielfacher Hinsicht?
(…)Durch eine langfristig angelegte sportmotorische Bewegungsförderung kann die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit der Kinder erhöht werden und ihnen somit das Lernen sowie Prüfungssituationen in der Schule aber auch im Alltag und im späteren Berufsleben erleichtert werden. Dies wirkt sich natürlich auch auf ihr Wohlbefinden aus.

Mehr zum Thema:
Ergebnisse der Studie können beim Wissenschaftlichen Fachzeitschriftendienst MDPI kostenlos heruntergeladen werden.

//kakü

Tanja Postler, Jahrgang 1983, stammt aus Lauter bei Bamberg. Schon in jungen Jahren war sie sportlich sehr aktiv und studierte schließlich Diplom-Sportwissenschaften mit Schwerpunkt Prävention & Rehabilitation an der Technischen Universität München. Seit 2009 arbeitet Tanja Postler dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Präventive Pädiatrie. Sie widmet sich insbesondere der Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen.